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Ein Jahr­hun­dert Klein­gar­ten­kul­tur in Leer: Geschich­te, Ent­wick­lung und Gemein­schaft im Klein­gar­ten­bau­ver­ein Leer e. V.

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Der Klein­gar­ten­bau­ver­ein Leer e. V. – Mehr als 100 Jah­re geleb­te Gar­ten­kul­tur in Ostfriesland

Der Klein­gar­ten­bau­ver­ein Leer e. V. ist weit mehr als nur ein Zusam­men­schluss von Hob­by­gärt­nern – er ist ein Spie­gel der gesell­schaft­li­chen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Ent­wick­lun­gen des 20. und 21. Jahr­hun­derts in Ost­fries­land. Mit sei­ner über 100-jäh­ri­gen Geschich­te gehört er zu den ältes­ten und tra­di­ti­ons­reichs­ten Klein­gar­ten­ver­ei­nen der Region.

Die Grün­dungs­jah­re (1919–1925): Auf­bau und Versorgung

Am 22. Mai 1919 grün­de­ten 143 enga­gier­te Bür­ger den Klein­gar­ten­bau­ver­ein Leer mit dem Ziel, die Eigen­ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung mit Obst und Gemü­se zu sichern – ein drin­gen­des Bedürf­nis in der Nach­kriegs­zeit. Die Anbau­flä­che betrug zu Beginn fünf Hekt­ar, doch der Bedarf stieg rasant: Bereits 1921/22 kamen zusätz­li­che 10,8 Hekt­ar an ande­ren Stand­or­ten sowie wei­te­re klei­ne­re Flä­chen hinzu.

Die Mit­glie­der­zahl explo­dier­te auf 575, was die Ver­wal­tung vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen stell­te. Um eine gerech­te Land­ver­tei­lung zu gewähr­leis­ten, wur­de zunächst jedem Mit­glied eine Flä­che von maxi­mal 1.000 Qua­drat­me­tern zuge­teilt. Spä­ter wur­de die Ver­ga­be nach der Fami­li­en­grö­ße gere­gelt – ein Sys­tem, das jedoch auch zu Miss­brauch führ­te. Wer beim “Schum­meln” ertappt wur­de, muss­te mit sofor­ti­ger Kün­di­gung rechnen.

Pacht­zah­lun­gen wur­den in den Anfangs­jah­ren in Pfen­ni­gen ent­rich­tet, ab 1923 in Reichs­mark. Wäh­rend ande­re Klein­gar­ten­an­la­gen wie in Nor­den oder Aurich alter­na­ti­ve Zah­lungs­for­men wie die “Kar­tof­fel­wäh­rung” ein­führ­ten, blieb man in Leer beim Geld. Dies führ­te zu Span­nun­gen, ins­be­son­de­re bei der geplan­ten Pacht­erhö­hung 1923, die auf­grund hoher Pflug­kos­ten auf bis zu 15 RM/qm stei­gen soll­te – ein Vor­schlag, der nach mas­si­ven Pro­tes­ten ver­wor­fen wurde.

Die 1930er Jah­re: Neue Ord­nung unter dem Drit­ten Reich

Ab dem 1. Okto­ber 1934 zähl­te der Ver­ein 292 Mit­glie­der. Die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Regie­rung griff auch in die Struk­tu­ren der Klein­gar­ten­ver­ei­ne ein. Der soge­nann­te “Ver­eins­lei­ter” führ­te Fort­bil­dungs­pflich­ten ein – drei­ma­li­ges Feh­len bedeu­te­te den Ver­lust der Par­zel­le. Trotz der restrik­ti­ven Maß­nah­men stieg die Mit­glie­der­zahl bis 1936 wie­der auf 306.

Wie­der­auf­bau nach dem Krieg (1945–1952)

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg war das Ver­eins­le­ben nahe­zu zum Erlie­gen gekom­men. Sechs enga­gier­te Gar­ten­freun­de rie­fen 1945 eine Wie­der­be­le­bung des Ver­eins­le­bens ins Leben. Die Gär­ten waren schlecht bewirt­schaf­tet, die Pacht­flä­chen auf nur 25 Hekt­ar geschrumpft. Doch der Neu­an­fang gelang: Bis 1948 wuchs die Flä­che auf 46 Hekt­ar, die Mit­glie­der­zahl stieg auf über 1.200.

Der wirt­schaft­li­che Auf­schwung ab 1950 brach­te aller­dings neue Her­aus­for­de­run­gen: Vie­le Flä­chen muss­ten dem Woh­nungs­bau wei­chen. 1952 waren nur noch 827 Mit­glie­der aktiv. Trotz die­ser Ein­bu­ßen gelang es dem Ver­ein, neue Flä­chen zu sichern – aller­dings nicht ohne Schwie­rig­kei­ten. Ein geplan­ter Flä­chen­er­werb 1951 schei­ter­te an for­ma­len Feh­lern sei­tens der Stadt.

Die heu­ti­ge Anla­ge ent­steht (1954–1976)

Ein Wen­de­punkt war das Jahr 1954: Dank der Unter­stüt­zung des dama­li­gen Bau­rats Bruns konn­te eine Flä­che von 1,89 Hekt­ar Grün­land gepach­tet wer­den – der Beginn der heu­ti­gen Anla­ge “Am Wes­ter­hamm­rich”. Da eini­ge Mit­glie­der auf­ga­ben, wur­den die Par­zel­len auf 450 bis 500 Qua­drat­me­ter ver­klei­nert. Dies ermög­lich­te eine bes­se­re Nut­zung der Flä­che und mehr Par­zel­len für neue Mitglieder.

Die Infra­struk­tur wur­de schritt­wei­se ver­bes­sert. 1956 erfolg­te der Anschluss an das Was­ser­netz, 1957 wur­de ein in Hand­ar­beit gebau­ter Gerä­te­schup­pen zum Ver­eins­heim umfunk­tio­niert. Toi­let­ten und Lager­flä­chen kamen 1965 hin­zu, um den wach­sen­den Anfor­de­run­gen gerecht zu wer­den. Die Elek­tri­fi­zie­rung der Anla­ge begann 1976 mit dem ers­ten pro­vi­so­ri­schen Stromanschluss.

Das moder­ne Ver­eins­le­ben (1983 bis heute)

Seit dem 1. April 1983 gilt das Bun­des­klein­gar­ten­ge­setz, das auch in Leer Anwen­dung fin­det. Heu­te umfasst die Klein­gar­ten­an­la­ge “Am Wes­ter­hamm­rich” etwa 5,99 Hekt­ar Flä­che mit 109 Par­zel­len. Die Gär­ten sind in Hecken ein­ge­fasst, über befes­tig­te Wege erreich­bar und durch Gemein­schafts­flä­chen wie Streu­obst­wie­sen, eine Lehrim­ke­rei und einen Fest­platz ergänzt.

Die Par­zel­len bie­ten Raum für gärt­ne­ri­sche Krea­ti­vi­tät, Selbst­ver­sor­gung, Natur­päd­ago­gik und sozia­le Begeg­nung. Die jähr­li­chen Mit­glieds­bei­trä­ge und die ver­pflich­ten­den Gemein­schafts­stun­den sichern die Pfle­ge und Wei­ter­ent­wick­lung der Anla­ge. Die Gar­ten­ord­nung regelt alle Belan­ge von Pfle­ge, Müll­ent­sor­gung und Öff­nungs­zei­ten bis hin zu Bau­vor­ha­ben und Lärmschutz.

Klein­gar­ten­bau­ver­ein Leer im Wes­ter­hamm­rich in Ostfriesland

Vor­stand und Organisation

Der Ver­ein wird von einem enga­gier­ten Vor­stand geführt:

  • 1. Vor­sit­zen­der: Hel­mut Aden

  • 2. Vor­sit­zen­der: Meh­met Yaman (auch Landaufseher)

  • Schatz­meis­ter: Micha­el van Hove

  • Schrift­füh­rer: Keno Harders

  • Bei­sit­ze­rin: Lisa Tirrel

  • Bei­sit­zer: Joa­chim Win­ter, Timo Voskamp

Kon­takt­in­for­ma­tio­nen, Sprech­zei­ten und aktu­el­le Hin­wei­se fin­den sich auf der Web­site des Ver­eins oder am Aus­hang in der Anlage.

Ein Ort der Begeg­nung und Naturerfahrung

Der Klein­gar­ten­bau­ver­ein Leer e. V. ist heu­te ein leben­di­ger Treff­punkt für alle Gene­ra­tio­nen – vom erfah­re­nen Gärt­ner bis zur jun­gen Fami­lie. Er ver­eint Tra­di­ti­on und Moder­ne, bie­tet Erho­lung, Natur und eine star­ke Gemein­schaft. Ein Beweis dafür, dass Klein­gär­ten auch heu­te noch zeit­ge­mäß und gesell­schaft­lich wert­voll sind.

Stand­ort: Klein­gar­ten­an­la­ge “Am Wes­ter­hamm­rich“
An den Gär­ten, 26789 Leer

Besuchs­zei­ten:

  • März bis Okto­ber: täg­lich bis 19 Uhr

  • Novem­ber bis Febru­ar: sams­tags und sonn­tags bis 19 Uhr

Inter­es­sier­te sind herz­lich ein­ge­la­den, sich über Mit­glied­schaft und freie Par­zel­len zu infor­mie­ren – der Ver­ein freut sich über neue Mit­strei­ter im Grünen!

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