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Nds. Ober­ver­wal­tungs­ge­richt: Vor­läu­fi­ge Außer­voll­zug­set­zung der 2‑G-Rege­lung im Einzelhandel

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Vor­läu­fi­ge Außer­voll­zug­set­zung der 2‑G-Rege­lung im Einzelhandel

Der 13. Senat des Nie­der­säch­si­schen Ober­ver­wal­tungs­ge­richts hat mit Beschluss vom heu­ti­gen Tage § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Nie­der­säch­si­schen Ver­ord­nung über infek­ti­ons­prä­ven­ti­ve Schutz­maß­nah­men zur Ein­däm­mung des Coro­na­vi­rus SARS-CoV‑2 und des­sen Vari­an­ten vom 23. Novem­ber 2021, zuletzt geän­dert durch Ver­ord­nung zur Ände­rung der Nie­der­säch­si­schen Coro­na-Ver­ord­nung vom 13. Dezem­ber 2021(im Fol­gen­den: Coro­na-VO), vor­läu­fig außer Voll­zug gesetzt (Az.: 13 MN 477/21). Die­se Rechts­vor­schrift ord­net in bestimm­ten Betrie­ben und Ein­rich­tun­gen des Ein­zel­han­dels ein Ver­bot des Zutritts für Kun­den an, die weder über einen Impf­nach­weis noch über einen Gene­se­nen­nach­weis ver­fü­gen (sog. 2‑G-Rege­lung im Einzelhandel).

Gegen die­se Rege­lung hat­te sich eine Antrag­stel­le­rin, die auch in Nie­der­sach­sen Ein­zel­han­del im Fili­al­be­trieb mit einem Misch­sor­ti­ment betreibt, mit einem Nor­men­kon­trolleilan­trag gewandt und gel­tend gemacht, die Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­me sei nicht not­wen­dig und auch mit dem all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz nicht vereinbar.

Dem ist der 13. Senat im Wesent­li­chen gefolgt. Die 2‑G-Rege­lung im Ein­zel­han­del in der kon­kre­ten Aus­ge­stal­tung nach § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Coro­na-VO sei der­zeit kei­ne not­wen­di­ge Schutz­maß­nah­me. Die Eig­nung zur Errei­chung der infek­tio­lo­gi­schen Zie­le sei durch die — frag­los erfor­der­li­chen — zahl­rei­chen Aus­nah­men in § 9a Abs. 1 Satz 2 Coro­na-VO bereits redu­ziert. Allein im von der 2‑G-Rege­lung nicht umfass­ten Lebens­mit­tel­ein­zel­han­del fin­de der weit über­wie­gen­de Teil täg­li­cher Kun­den­kon­tak­te statt. Auch die Erfor­der­lich­keit sei zwei­fel­haft. Der Senat habe bereits mehr­fach bean­stan­det, dass ver­läss­li­che und nach­voll­zieh­ba­re Fest­stel­lun­gen zur tat­säch­li­chen Infek­ti­ons­re­le­vanz des Gesche­hens im Ein­zel­han­del fehl­ten. Es sei nicht ersicht­lich, dass die Erfor­schung von Infek­ti­ons­um­fel­dern auch durch das Land Nie­der­sach­sen inten­si­viert wor­den wäre, um die Ziel­ge­nau­ig­keit der Schutz­maß­nah­men zu erhö­hen. Eine schlich­te Über­tra­gung von Erkennt­nis­sen zum Gesche­hen in geschlos­se­nen Räu­men von Sport- und Frei­zeit­ein­rich­tun­gen (vgl. hier­zu die Pres­se­mit­tei­lung Nr. 62 vom 10.12.2021) drän­ge sich ange­sichts erheb­li­cher Unter­schie­de zu dem Gesche­hen im Ein­zel­han­del nicht auf. Letz­te­res erschei­ne jeden­falls regel­mä­ßig durch eine kür­ze­re Ver­weil­dau­er der Kun­den, eine gerin­ge­re Kun­den­dich­te, eine gerin­ge­re Anzahl unmit­tel­ba­rer Per­so­nen­kon­tak­te (Face-to-Face), gerin­ge­re kör­per­li­che Akti­vi­tä­ten und eine bes­se­re Durch­set­zung von Hygie­ne­kon­zep­ten gekenn­zeich­net. Zudem könn­ten die Kun­den, wie in vie­len ande­ren All­tags­si­tua­tio­nen, auch im Ein­zel­han­del ver­pflich­tet wer­den, eine FFP2-Mas­ke zu tra­gen. Nach neue­ren Erkennt­nis­sen dürf­ten Atem­schutz­mas­ken die­ses Schutz­ni­veaus — eine in Betrie­ben und Ein­rich­tun­gen des Ein­zel­han­dels durch­aus durch­zu­set­zen­de rich­ti­ge Ver­wen­dung der Mas­ke vor­aus­ge­setzt — das Infek­ti­ons­ri­si­ko der­art absen­ken, dass es nahe­zu ver­nach­läs­sigt wer­den kön­ne. Auch das Robert Koch-Insti­tut sehe in sei­ner Con­trol­CO­VID-Stra­te­gie zur Vor­be­rei­tung auf den Herbst/Winter 2021/22 selbst für die höchs­te Warn­stu­fe nicht den Aus­schluss unge­impf­ter Kun­den vom Ein­zel­han­del vor. Die Coro­na-VO hin­ge­gen ord­ne die 2‑G-Rege­lung bereits ab der Warn­stu­fe 1 an, die durch ein mil­des Infek­ti­ons­ge­sche­hen gekenn­zeich­net sei. Selbst bei der der­zeit gel­ten­den Warn­stu­fe 2 erach­te der Ver­ord­nungs­ge­ber das Infek­ti­ons­ge­sche­hen als beherrsch­bar. Zur Redu­zie­rung eines sol­chen Infek­ti­ons­ge­sche­hens leis­te die 2‑G-Rege­lung in ihrer kon­kre­ten Aus­ge­stal­tung durch § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 Coro­na-VO nur einen sehr gerin­gen Bei­trag. Die­ser kön­ne durch eine FFP2-Mas­ken­pflicht auf ein für das Infek­ti­ons­ge­sche­hen irrele­van­tes Niveau redu­ziert wer­den. Dem­ge­gen­über stün­den durch­aus erheb­li­che Ein­grif­fe in die Grund­rech­te der unge­impf­ten Kun­den und der Betriebs­in­ha­ber. In die­ser Rela­ti­on — beherrsch­ba­res Infek­ti­ons­ge­sche­hen, gerin­ge Wir­kung der Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­me und erheb­li­che Grund­rechts­ein­grif­fe — erwei­se sich die 2‑G-Rege­lung im Ein­zel­han­del der­zeit als unan­ge­mes­sen. Eine ande­re Bewer­tung gebie­te — bei objek­ti­ver Betrach­tung des dem Senat bekann­ten oder vom Land Nie­der­sach­sen prä­sen­tier­ten aktu­el­len Erkennt­nis­stands — auch die neue Omi­kron-Vari­an­te nicht.

Die 2‑G-Rege­lung im Ein­zel­han­del in der kon­kre­ten Aus­ge­stal­tung nach § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 Coro­na-VO dürf­te auch mit dem all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz nicht zu ver­ein­ba­ren sein. Nach­voll­zieh­ba­re sach­li­che Grün­de dafür, dass bei­spiels­wei­se zwar Gar­ten­markt­gü­ter, Güter des Blu­men­han­dels ein­schließ­lich der Güter des gärt­ne­ri­schen Fach­ein­zel­han­dels und Güter zur Repa­ra­tur und Instand­hal­tung von Elek­tronik­ge­rä­ten zu den von der 2‑G-Rege­lung aus­ge­nom­me­nen “Gütern des täg­li­chen Bedarfs oder zur Grund­ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung” gezählt wür­den, aber Bau­märk­te unein­ge­schränkt der 2‑G-Rege­lung unter­wor­fen blie­ben, sei­en nicht erkennbar.

Schwer­wie­gen­de öffent­li­che Inter­es­sen, die einer vor­läu­fi­gen Außer­voll­zug­set­zung der danach vor­aus­sicht­lich rechts­wid­ri­gen Rege­lung ent­ge­gen­stün­den, sei­en nicht gege­ben. Unter Berück­sich­ti­gung der in den zurück­lie­gen­den Coro­na-Ver­ord­nun­gen getrof­fe­nen Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men und des aktu­el­len Infek­ti­ons­ge­sche­hens auch im Land Nie­der­sach­sen sei die 2‑G-Rege­lung im Ein­zel­han­del kein wesent­li­cher Bau­stein in der Stra­te­gie der Pan­de­mie­be­kämp­fung des Lan­des Nie­der­sach­sen. Dies fol­ge auch nicht aus der maß­geb­lich poli­ti­schen Fest­le­gung in der Bespre­chung der Bun­des­kanz­le­rin mit den Regie­rungs­chefin­nen und Regie­rungs­chefs der Län­der am 2. Dezem­ber 2021.

Die Außer­voll­zug­set­zung der sog. 2‑G-Rege­lung im Ein­zel­han­del wirkt nicht nur zuguns­ten der Antrag­stel­le­rin in die­sem Ver­fah­ren. Sie ist viel­mehr in ganz Nie­der­sach­sen allgemeinverbindlich.

Der Beschluss ist unanfechtbar.


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