Wirtschaft
Kreuzfahrt in schwerer See
Kreuzfahrtbranche in Norddeutschland braucht dringend mehr Unterstützung und Perspektiven
Ausgangslage
Vor Beginn der Corona-Pandemie Anfang dieses Jahres boomte der Kreuzfahrttourismus, der bundesweit seinen Schwerpunkt in Norddeutschland hat. 3,12 Millionen Deutsche bestiegen im Jahr 2019 ein Kreuzfahrtschiff, weltweit waren es über 30 Millionen Passagiere. Der deutsche Markt verzeichnete 2019 europaweit das stärkste Wachstum. Die Kreuzfahrtbranche hat insgesamt eine große Rolle im Spektrum der norddeutschen Wirtschaft eingenommen: Neben dem Gastgewerbe und touristischen Leistungsträgern, Reiseveranstaltern und Reisebüros profitierten vor allem auch Schiffsausrüster, Häfen, Innenstädte und Hafendienstleister von der dynamisch wachsenden Zahl von Schiffsanläufen. Der weltweite Boom der Kreuzfahrt war bislang auch eine der zukunftsträchtigsten Säulen der Schiffbauindustrie und ihrer Zulieferer. Die Vielfalt der nötigen Technologien an Bord von Kreuzfahrtschiffen, auch für den zunehmenden Umwelt- und Klimaschutz, ist Innovationstreiber für die maritime Wirtschaft insgesamt und damit eine Art Zukunftslabor für „Smart Cities auf dem Wasser“; so werden in Pilotprojekten bereits umweltschonende Antriebe zum Einsatz gebracht. Die Branche hat weltweit rund 20 Milliarden Euro in die Entwicklung energieeffizienter Technologien investiert und plant diese auch zukünftig; allerdings kann die Corona-Pandemie hier zu unerwünschten zeitlichen Verzögerungen führen.
Die Kreuzfahrtbranche leistet einen bedeutenden wirtschaftlichen Beitrag: 2019 betrug die Wertschöpfung der Kreuzfahrtbranche laut dem Branchenverband CLIA allein in Deutschland 6,6 Milliarden Euro, mehr als 48.000 Arbeitsplätze wurden hierzulande durch die Kreuzfahrt garantiert. In Norddeutschland sind zahlreiche Kreuzfahrtreedereien aktiv, darunter große Anbieter wie Aida Cruises, Hapag-Lloyd Cruises, MSC Cruises oder TUI Cruises.
Diese positive Entwicklung für die Kreuzfahrtbranche wurde durch die Corona-Pandemie abrupt gestoppt. Seit dem ersten Shutdown im März finden nahezu keine Kreuzfahrten mehr statt. Vorsichtige Neuanfänge im zweiten Halbjahr kamen mit den neuerlich formulierten strengen Reisebeschränkungen erneut zum Erliegen. Ein Großteil der Flotte liegt beschäftigungslos in den Häfen oder auf Reede. Fehlenden Einnahmen stehen fortlaufende Betriebs- und Personalkosten gegenüber. Deshalb gelangen die Kreuzfahrtanbieter als auch die Partner wie Dienstleister und Hafenbetreiber wirtschaftlich zunehmend in schweres Fahrwasser.
An der Kreuzfahrtindustrie hängen nicht nur die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Schiffen – vor allem die Reisewirtschaft, etwa Reiseveranstalter und Reisebüros, sind direkt betroffen. Wer eng mit den Anbietern von Kreuzfahrten verbunden ist und sich auf deren Angebot fokussiert und spezialisiert hat, hat aufgrund der Corona-Krise einen erheblichen Teil seiner Einnahmen verloren. Werften stellen sich bereits auf weniger Aufträge im Schiffbau ein. Aber auch Lieferanten, Dienstleister sowie Touristenführer, Restaurants und Geschäfte in den angelaufenen Häfen profitieren normalerweise während der Saison von den Einnahmen durch die Kreuzfahrtpassagiere und die Crews oder sind sogar auf diese angewiesen. Ein Ende der Beschränkungen ist derzeit nicht in Sicht.
Diskussionsansätze und Handlungsempfehlungen
Die wenigen Kreuzfahrten der letzten Monate haben gezeigt, dass gute Hygienekonzepte diese Art des Reisens sicher machen können. Im Bemühen, den Kreuzfahrtbetrieb verantwortungsbewusst wieder aufzunehmen, bietet die Kreuzfahrtbranche vielschichtige Sicherheits- und Hygienekonzepte und wird damit zum Vorreiter in der internationalen Tourismusindustrie. Ein Baustein stellt die globale Covid-19-Testpflicht für alle Passagiere und Crewmitglieder dar, auf die sich der internationale Kreuzfahrtverband CLIA bereits im Oktober 2020 verständigt hat. Sofern Corona-Infektionen auftreten, existieren Hospitäler an Bord, in denen Erkrankte sofort die erforderliche medizinische Hilfe erfahren können. Zudem werden ausreichend separierte freie Kabinen vorgehalten, die zur isolierten Unterbringung von positiv auf Corona getesteten Passagieren oder Crewmitgliedern genutzt werden können. Eine schnelle Kontrolle des Geschehens auf den Schiffen ist gewährleistet. Neue Sicherheitskonzepte und Filtersysteme wurden für die Restaurants und die Klimatechnik entwickelt. Ebenso haben die Häfen und Hafenbetreiber als Schnittstelle zu den Reedereien ihre Sicherheits- und Hygienekonzepte den Anforderungen angepasst.
Angesichts der großen Wertschöpfung und Beschäftigung, die die Kreuzfahrtschifffahrt über viele vor- und nachgelagerten Wirtschaftszweige hinweg für die deutsche Wirtschaft generiert, sollte die Bundesregierung der Kreuzfahrtbranche in der Corona-Krise mehr Unterstützung gewähren und eine Perspektive aufzeigen. Die umfangreichen Schutzmaßnahmen, die die Branche zur Eindämmung der Pandemie entwickelt hat, sollten dabei angemessen berücksichtigt werden. Durch eine risikoadjustierte Ausweisung von Reisegebieten sollten mehr Kreuzfahrtanläufe ermöglicht werden. Es bedarf hier einer transnationalen Abstimmung (mindestens auf EU-Ebene), wie Kreuzfahrten – wo immer möglich auch mit Landgängen – durchgeführt werden können. Nicht nur touristische Destinationen, beispielsweise am Mittelmeer, erleben derzeit massive Umsatzeinbrüche vor Ort, auch an der deutschen Nord- und Ostsee fehlen die Kreuzfahrttouristen. Auch sollte diskutiert werden, die deutschen Werften und Zulieferer im Kreuzfahrtschiffbau einzubeziehen und mit Blick auf die Corona-Pandemie zu stützen. Aus Sicht der norddeutschen Industrie- und Handelskammern sollte geprüft werden, das Großbürgschaftsprogramm (parallele Bund-Länder-Bürgschaften) auch uneingeschränkt auf den Schiffbau anzuwenden sowie den Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung einzusetzen, damit die Werften und die Kreuzschifffahrtbranche als Arbeitgeber in Kernbranchen und bei Zulieferern erhalten bleiben.
Die IHK Nord plädiert für eine stärkere räumliche Differenzierung bei der Ausweisung der Reisewarnungen in Zieldestinationen. Ebenso sind Gespräche mit den Ziel-Ländern zu führen, um zu prüfen, ob die jeweiligen Reisebeschränkungen vor Ort ebenfalls differenziert bewertet werden können, da von Kreuzfahrttouristen in ihrer meist abgeschlossenen eigenen Welt ein geringeres Infektionsrisiko ausgeht. Die durchgeführten Corona-Tests vor, während und nach der Reise sollten eine Reiserückkehr ohne Quarantäne ermöglichen. Die derzeitig gültigen Quarantäneregelungen bei der Einreise nach Deutschland sollten hier angepasst, langfristig orientiert und bundeseinheitlich gleichlautend formuliert werden.
Ein gemeinsamer digitaler Kreuzfahrt-Tourismus-Gipfel mit Vertretern der Branche, der Politik und der Industrie- und Handelskammern kann hier eine erste Maßnahme für den Start eines strukturierten Dialogs sein. Die IHK Nord bietet sich hier als Moderator, Impulsgeber und Dialoggestalter an.
Foto: Ingo Tonsor @LeserECHO Papenburg/Leer
Anzeige: