Veranstaltung

Ehe­ma­li­ge Leera­ner Syn­ago­ge — archäo­lo­gi­sche Ein­bli­cke in Leer

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Archäo­lo­gi­sche Ein­bli­cke: Vor­trag zu Gra­bun­gen auf dem Gelän­de der ehe­ma­li­gen Leera­ner Synagoge

Leer. Am kom­men­den Diens­tag, den 2. Dezem­ber, lädt der Hei­mat­ver­ein Leer zu einer beson­de­ren öffent­li­chen Ver­an­stal­tung ins Klott­je-Huus, Neue Stra­ße 16, ein. Dr. Jan Keg­ler von der Ost­frie­si­schen Land­schaft wird dort über die archäo­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen auf dem Grund­stück der ehe­ma­li­gen Leera­ner Syn­ago­ge am Bum­mert berichten.

Die Gra­bun­gen, die für gro­ßes regio­na­les Inter­es­se sorg­ten, bie­ten wert­vol­le Ein­bli­cke in die Geschich­te der jüdi­schen Gemein­de in Leer. Dr. Keg­ler stellt nicht nur die archäo­lo­gi­schen Befun­de vor, son­dern bewer­tet die Ergeb­nis­se auch aus denk­mal­recht­li­cher Per­spek­ti­ve – ein Aspekt, der für die wei­te­re Nut­zung und den Umgang mit dem his­to­ri­schen Are­al von zen­tra­ler Bedeu­tung ist.

Im Anschluss an den Vor­trag besteht die Mög­lich­keit zur Aus­spra­che und Dis­kus­si­on.
Die Ver­an­stal­tung beginnt um 19:30 Uhr, der Ein­tritt ist frei.

Der Hei­mat­ver­ein Leer lädt alle his­to­risch Inter­es­sier­ten, Bür­ge­rin­nen und Bür­ger sowie Ver­tre­ter aus Poli­tik, Kul­tur und Bil­dung herz­lich ein, an die­sem Abend teil­zu­neh­men und sich aus ers­ter Hand über die bedeu­ten­den For­schungs­er­geb­nis­se zu informieren.

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Die zer­stör­te Syn­ago­ge von Leer – Neue Erkennt­nis­se aus Archäo­lo­gie und Geschichte

Wäh­rend der Novem­ber­po­gro­me vom 9. auf den 10. Novem­ber 1938 wur­de auch die Syn­ago­ge der jüdi­schen Gemein­de Leer an der Heis­fel­der Stra­ße von natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Tätern nie­der­ge­brannt. Das ein­drucks­vol­le Got­tes­haus, ein präch­ti­ger Kup­pel­bau im mau­ri­schen Stil, war 1885 errich­tet wor­den und galt als eines der mar­kan­tes­ten Gebäu­de der Stadt. In Stadt­füh­rern wur­de es als Sehens­wür­dig­keit her­vor­ge­ho­ben – ein Sym­bol jüdi­schen Lebens in Leer.

An die Syn­ago­ge schloss sich rück­wär­tig die Woh­nung des Vor­sän­gers (Chasan/Kantors) an. 1938 leb­ten hier Josef und Ida Wolffs. Nach Bau­plä­nen befan­den sich in die­sem Bereich zudem ein Hei­zungs­kel­ler und das ritu­el­le Tauch­bad. Archiv­quel­len aus der Zeit des Bran­des deu­ten dar­auf hin, dass Tei­le der Unter­kon­struk­ti­on womög­lich erhal­ten blie­ben. Die Syn­ago­ge soll voll­un­ter­kel­lert gewe­sen und mit einem Kap­pen­ge­wöl­be aus Dop­pel-T-Trä­gern und Back­stein­kap­pen aus­ge­stat­tet wor­den sein.

Die Pogrom­nacht in Leer

In der Nacht des Pogroms wur­den Ida und Josef Wolffs gewalt­sam aus dem Schlaf geholt. Die SA ver­wüs­te­te ihre Woh­nung und warf das Inven­tar auf die Stra­ße. Zeit­zeu­gen berich­ten, dass Bür­ger­meis­ter Emil Dre­scher per­sön­lich die Vor­hän­ge in der Syn­ago­ge mit einer Fackel ent­zün­det haben soll. Als obers­ter Befehls­ha­ber der Poli­zei und Feu­er­wehr ver­hin­der­te er bewusst jede Lösch­maß­nah­me. Der Brand wur­de sogar durch Brand­be­schleu­ni­ger intensiviert.

Ledig­lich das Über­grei­fen der Flam­men auf benach­bar­te, nicht-jüdi­sche Häu­ser wur­de von der Feu­er­wehr ver­hin­dert. Erst in den Mor­gen­stun­den erlosch das Feu­er voll­stän­dig. Die Woh­nung der Fami­lie Wolffs blieb weit­ge­hend unver­sehrt, wur­de jedoch im Zuge des spä­te­ren Abris­ses zer­stört. Der Kel­ler soll­te ursprüng­lich zu einem Luft­schutz­raum umge­baut wer­den und blieb des­halb unangetastet.

Am 15. Novem­ber 1938 erging die Abriss­ver­fü­gung des Regie­rungs­prä­si­den­ten. Die jüdi­sche Gemein­de wur­de für die Abriss­kos­ten in Haf­tung genom­men, das Grund­stück vor­sorg­lich ent­eig­net. Bis zum 20. Dezem­ber 1938 war der Bau voll­stän­dig nie­der­ge­legt – bis auf den Kel­ler, den man für einen Luft­schutz­raum vor­ge­se­hen hatte.

1940 wur­de das Gelän­de an den Tank­stel­len­be­sit­zer Johann Eidt­mann ver­kauft – aus­ge­rech­net den Brand­meis­ter der Feu­er­wehr, die das Feu­er nicht hat­te löschen dür­fen. Bis in die 1960er Jah­re lag das Are­al brach, ehe 1963 eine Auto­werk­statt und eine Wasch­hal­le errich­tet wur­den. Seit 2010 ist das Gelän­de erneut unbe­baut und war­tet auf eine neue Nutzung.

Das Schick­sal von Ida und Josef Wolffs

Bür­ger­meis­ter Dre­scher orga­ni­sier­te nach dem Pogrom auch die Depor­ta­ti­on jüdi­scher Män­ner aus Leer nach Sach­sen­hau­sen. Josef Wolffs kehr­te kurz­fris­tig zurück, leb­te jedoch nur noch eini­ge Mona­te in der Stadt. Eine geplan­te Aus­wan­de­rung nach Paläs­ti­na schei­ter­te. Am 5. März 1940 wur­den Ida und Josef Wolffs nach Ber­lin depor­tiert und spä­ter im Ghet­to bzw. Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Riga im Sep­tem­ber 1942 ermordet.

Unein­heit­li­che Erin­ne­run­gen – was blieb im Boden erhalten?

Über Jahr­zehn­te gab es wider­sprüch­li­che Berich­te über mög­li­che Über­res­te der Syn­ago­ge. Ein Bag­ger­fah­rer erin­ner­te sich, 1963 sei alles ent­fernt und mit Sand ver­füllt wor­den. Der Sohn des Archi­tek­ten hin­ge­gen behaup­te­te, Kel­ler und Ritu­al­bad sei­en ent­deckt und Tei­le davon erhal­ten wor­den. Eini­ge Flie­sen­frag­men­te des Ritu­al­ba­des – Bau­ke­ra­mik der Manu­fak­tur Utz­schnei­der & Jau­nez (1865–1921) – sind heu­te in der Gedenk­stät­te der ehe­ma­li­gen jüdi­schen Schu­le Leer ausgestellt.

Archäo­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen seit 2020

Mit den Plä­nen für einen neu­en Wohn- und Geschäfts­kom­plex kon­kre­ti­sier­te sich 2020 das Inter­es­se an einer archäo­lo­gi­schen Unter­su­chung. Gemein­sam mit dem Archäo­lo­gi­schen Dienst der Ost­frie­si­schen Land­schaft wur­den zwei Such­schnit­te ange­legt – mit auf­schluss­rei­chen Ergebnissen.

Such­schnitt 1: Brand­ho­ri­zont & Bauschutt

Unter moder­nen Sand­schich­ten fan­den Archäologen:

  • Bau­schutt des Abrisses

  • eine ca. 10 cm mäch­ti­ge Brand­schicht mit Asche und Holzkohle

  • dar­un­ter Bau­schutt der Bauphase

  • das 60 cm brei­te Fun­da­ment der nörd­li­chen Außenmauer

Damit ist klar: Es exis­tie­ren Über­res­te der Syn­ago­ge im Boden.

Such­schnitt 2: Ein­gangs­be­reich & Tiefparterre

Auf Grund­la­ge eines Bau­plans von 1907 wur­de ein ehe­ma­li­ger Zugang zum Tief­par­terre freigelegt:

  • vier erhal­te­ne Trep­pen­stu­fen

  • ein 1,60 x 1,40 m gro­ßer Vor­raum mit Zementestrich

  • stark hit­ze­ge­schä­dig­ter Estrich

  • Res­te des Wandputzes

  • Aus­spa­run­gen für frü­he­re Türzargen

Unter der Beton­plat­te der spä­te­ren Wasch­hal­le könn­ten wei­te­re Struk­tu­ren lie­gen – mög­li­cher­wei­se Zugän­ge, Flu­re und das Ritualbad.

Fund­stü­cke: Eine Moment­auf­nah­me des Lebens der Fami­lie Wolffs

Aus dem Brand- und Abriss­schutt wur­den zahl­rei­che All­tags­ge­gen­stän­de geborgen:

  • Bau- und Möbelbeschläge

  • Por­zel­lan und Kera­mik (u. a. Bava­ria, Vil­leroy & Boch)

  • Flie­sen­frag­men­te

  • Glas

  • ein Kamm

  • Tei­le einer Porzellanpuppe

  • ein Fahr­rad­sat­tel

Sie zeich­nen das Bild eines ein­fa­chen Haus­halts der 1930er Jah­re. Ohne den his­to­ri­schen Kon­text wären es gewöhn­li­che Haus­halts­res­te – erst die Quel­len machen deut­lich, dass sie zu den per­sön­li­chen Gegen­stän­den der Fami­lie Wolffs gehö­ren. Die Fun­de ste­hen damit exem­pla­risch für das gewalt­sam been­de­te Leben einer jüdi­schen Fami­lie in Leer.

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