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FDP lehnt Umbe­nen­nung der Hin­den­burg­stra­ße ab – his­to­ri­sche Ein­ord­nung erhalten

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Gün­ter Pod­lich und Sven Albert von der FDP-Frak­ti­on der Stadt Leer – Susan­ne Smit fehlt – ste­hen vor dem Schild in der Hin­den­burg­stra­ße. Die FDP hat­te sich klar gegen die Umbe­nen­nung aus­ge­spro­chen. Am 25. Sep­tem­ber 2025 beschloss der Stadt­rat in gehei­mer Abstim­mung mit 29 abge­ge­be­nen Stim­men die Umbe­nen­nung: 15 Stim­men dafür, 14 dage­gen. Damit ist der Beschluss rechts­kräf­tig, und die Stra­ße wird künf­tig einen neu­en Namen erhalten.

FDP-Frak­ti­on lehnt Umbe­nen­nung der Hin­den­burg­stra­ße ab

Die FDP im Stadt­rat Leer spricht sich klar gegen die Umbe­nen­nung der Hin­den­burg­stra­ße aus. Die Frak­ti­on betont, dass Paul von Hin­den­burg eine his­to­risch kom­ple­xe Per­sön­lich­keit war – sowohl Kriegs­held und Sym­bol­fi­gur der Wei­ma­rer Repu­blik als auch wegen sei­ner Rol­le bei der „Dolch­stoß­le­gen­de“ und der Ernen­nung Hit­lers zum Reichs­kanz­ler kri­tisch zu bewerten.

Die FDP weist dar­auf hin, dass die Stra­ße seit fast 100 Jah­ren Teil des Lebens­um­fel­des der Anwoh­ner ist und vie­le Men­schen per­sön­li­che Erin­ne­run­gen und Iden­ti­fi­ka­ti­on damit ver­bin­den. Eine Umbe­nen­nung kön­ne als Ein­griff in den All­tag und als Ver­lust der gewohn­ten Umge­bung wahr­ge­nom­men wer­den und Kon­flik­te inner­halb der Nach­bar­schaft verursachen.

Statt­des­sen schlägt die FDP eine reflek­tier­te Erin­ne­rungs­po­li­tik vor: Der Name Hin­den­burg­stra­ße soll bestehen blei­ben, ergänzt durch eine sicht­ba­re Hin­weis­ta­fel mit his­to­ri­schem Kon­text, um die Geschich­te kri­tisch zu ver­mit­teln. Ziel sei es, Erin­ne­rung sicht­bar zu machen, ohne die Anwoh­ner zu bevormunden.

Die Frak­ti­on betont: „Ohne Erin­ne­rung gibt es weder Über­win­dung des Bösen noch Leh­ren für die Zukunft“ – daher wird die FDP dem Beschluss zur Umbe­nen­nung nicht zustimmen.

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Rede­bei­trag von der Leera­ner FDP-Frak­ti­on der Stadt Leer: 

Sehr geehr­ter Herr Vor­sit­zen­der, Herr Bür­ger­meis­ter, lie­be Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, ver­ehr­te Gäste,

wir ent­schei­den hier heu­te über eine mög­li­che „Umbe­nen­nung der Hin­den­burg­stra­ße“. Im Fach­aus­schuss haben wir dar­über bereits aus­führ­lich dis­ku­tiert, unse­re Sicht­wei­sen aus­ge­tauscht. Dar­um möch­te ich heu­te den Blick auf eini­ge weni­ge Aspek­te wer­fen, die bis­lang nicht so im Vor­der­grund standen.

Wir sind uns dar­über einig, dass Paul von Hin­den­burg eine his­to­risch zwie­späl­ti­ge Per­son war, nach der wir heu­te kei­ne Stra­ße neu benen­nen wür­den. Den­noch ver­tritt mei­ne Frak­ti­on den Stand­punkt, dass das nicht bedeu­ten muss, eine vor­han­de­ne Hin­den­burg­stra­ße zwin­gend umbe­nen­nen zu müssen.

Paul von Hin­den­burg war im Ers­ten Welt­krieg als „Sie­ger von Tan­nen­berg“ ein Kriegs­held, er hat 1918 zur Been­di­gung der Kampf­hand­lun­gen bei­getra­gen. Als Reichs­prä­si­dent oder „Ersatz-Kai­ser“ war er eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur in den unru­hi­gen Zei­ten der Wei­ma­rer Republik.

Aller­dings hat er auch zusam­men mit Ernst Luden­dorff die „Dolch­stoß­le­gen­de“ ver­brei­tet, um von der eige­nen Ver­ant­wor­tung an der mili­tä­ri­schen Nie­der­la­ge und dem „Schand­frie­den von Ver­sailles“ abzu­len­ken und statt­des­sen Sozia­lis­ten, Demo­kra­ten und die Novem­ber­re­vo­lu­ti­on als Schul­di­ge zu brand­mar­ken. Und ja, Hin­den­burg hat 1933 Hit­ler zum Reichs­kanz­ler ernannt, was dann bekann­ter­ma­ßen zum Unter­gang der Demo­kra­tie führte.

Das ist zwar ein wesent­li­cher, aber doch nur klei­ner Teil vom gro­ßen Gan­zen. Denn die Initia­ti­ve zur Ernen­nung Hit­lers zum Reichs­kanz­ler ging von kon­ser­va­ti­ven Eli­ten, allen vor­an Franz von Papen, aus. Papen und ande­re woll­ten Hit­ler in eine von kon­ser­va­ti­ven Minis­tern domi­nier­te Kabi­netts­mehr­heit „ein­rah­men“, kon­trol­lie­ren und qua­si neu­tra­li­sie­ren. Hin­den­burg selbst hat­te lan­ge Vor­be­hal­te gegen den „böh­mi­schen Gefrei­ten“. Er ließ sich letzt­end­lich aber durch das Drän­gen von Papens und dem geziel­ten Druck aus kon­ser­va­ti­ven und wirt­schaft­li­chen Krei­sen umstimmen.

Ich mei­ne, die­se geschicht­li­che Ein­ord­nung ist wichtig.

Im Buch „Schloss Gödens – Geschich­ten einer Herr­lich­keit“ wird berich­tet, dass sich am 9. Mai 1927 mit Reichs­prä­si­dent von Hin­den­burg ein beson­ders illus­trer Gast die Ehre gab und auf Ein­la­dung des Gra­fen von Wedel die Even­burg in Loga und in Leer die kurz zuvor eröff­ne­te Vieh­markt­hal­le auf der Nes­se besuchte.

Zitat: “Als die­ser kam, stand ganz Ost­fries­land Kopf und am stol­zes­ten waren natür­lich die Ein­woh­ner von Loga, deren Herr­schaft es gelun­gen war, den hohen Gast zu einem Auf­ent­halt in Loga zu bewe­gen. In sol­chen Momen­ten war der Grad der Iden­ti­fi­ka­ti­on am höchs­ten, die Bevöl­ke­rung dräng­te sich im Schloss­park und jeder ver­such­te, […] an dem gro­ßen Ereig­nis so nah wie mög­lich betei­ligt zu sein.“

In DIESEM posi­ti­ven Geist wur­de 1928 der Weg an der Frie­dens­kir­che in Hin­den­burg­stra­ße umbenannt.

Vie­le Men­schen ver­bin­den seit nun­mehr fast 100 Jah­ren mit dem Namen Hin­den­burg­stra­ße per­sön­li­che Erin­ne­run­gen, Hei­mat­ge­fühl und Iden­ti­tät. Wir befürch­ten, eine Umbe­nen­nung könn­te als Ver­lust oder Bedro­hung der gewohn­ten Lebens­welt wahr­ge­nom­men wer­den. Gera­de in einer sich rasant wan­deln­den glo­ba­len Welt benö­ti­gen vie­le Men­schen in ihrem enge­ren Umfeld Bestän­dig­keit und Ver­läss­lich­keit. Eine Umbe­nen­nung könn­te aber auch zu Kon­flik­ten füh­ren, inner­halb der Nach­bar­schaft, zwi­schen Befür­wor­tern und Geg­nern oder zwi­schen den Anwoh­nern und der Poli­tik. Letz­te­res ins­be­son­de­re, da sich die Mehr­heit der betrof­fe­nen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ein­deu­tig gegen eine Umbe­nen­nung aus­ge­spro­chen hat.

Die­se mög­li­chen Aus­wir­kun­gen zei­gen, dass die Umbe­nen­nung weit mehr ist als nur ein Ver­wal­tungs­akt. Wir wür­den tief in den All­tag und das Gemein­schafts­le­ben der Betrof­fe­nen ein­grei­fen. Unse­re heu­ti­ge Ent­schei­dung soll­te die­sen sozia­len Aspekt berück­sich­ti­gen und natür­lich den aus­drück­li­chen Wil­len der Anwoh­ner respektieren.

Erich Käst­ner, einer der schärfs­ten Gesell­schafts­kri­ti­ker sei­ner Zeit, schrieb 1931:

Die Dumm­heit wur­de zur Epi­de­mie. Ein Volk ver­sinkt in geis­ti­ger Umnachtung.“

Damals wie heu­te gilt: der öffent­li­che Dis­kurs ist geprägt von bil­li­gen Paro­len, Laut­stär­ke und Ver­drän­gung. Käst­ners Bild vom „Ver­sin­ken in geis­ti­ger Umnach­tung“ wirkt fast wie eine Meta­pher für die Echo­kam­mern, den Ver­schwö­rungs­glau­ben oder die algo­rith­misch ver­stärk­ten Des­in­for­ma­tio­nen unse­rer Tage.

Die FDP-Frak­ti­on setzt sich für eine reflek­tier­te Erin­ne­rungs­po­li­tik ein, die Geschich­te nicht aus­löscht, son­dern kri­tisch ver­mit­telt. Wir wün­schen uns eine inten­si­ve his­to­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der Per­son Paul von Hindenburg.

Unse­res Erach­tens wäre dafür nichts geeig­ne­ter als ein Stra­ßen­na­me wie der von Hin­den­burg, sinn­vol­ler­wei­se wie vor­ge­schla­gen ergänzt durch eine deut­lich sicht­ba­re Hin­weis­ta­fel mit einem erklä­ren­den Text. Wir dan­ken der Gemein­de der Frie­dens­kir­che, die einen Teil ihres Grund­stücks für eine sol­che Tafel zur Ver­fü­gung stel­len will.

Herr Vor­sit­zen­der, ein letz­ter Satz.

Und ich darf unse­ren ehe­ma­li­gen Bun­des­prä­si­den­ten Roman Her­zog zitieren:

Ohne Erin­ne­rung gibt es weder Über­win­dung des Bösen noch Leh­ren für die Zukunft.“

Die FDP-Frak­ti­on wird dem Beschluss­vor­schlag nicht zustimmen.

Vie­len Dank für die Aufmerksamkeit.

Wei­te­re Bei­trä­ge zu die­sem Thema:

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